Was ist ein Whistleblower System? FAQ kompakt.

Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um das Thema Whistleblower System.

Moritz Homann
Auf einen Blick

Immer mehr Unternehmen installieren Mechanismen, um Compliance-Verstöße frühzeitig zu identifizieren. So soll Mitarbeitern aber auch externen Anspruchsgruppen (wie Lieferanten, Kunden oder der breiten Öffentlichkeit) die Möglichkeit gegeben werden, unethische und illegale Verhaltensweisen im Unternehmen vertraulich an eine Meldestelle zu kommunizieren.

Vor allem digitale Whistleblowing-Systeme, auch unter dem Begriff digitale Hinweisgebersysteme geläufig, sind auf dem Vormarsch. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.

A person is standing in front of a laptop out of which a whistleblower is appearing while blowing a whistle.

Was sind die Vorteile von Whistleblower Systemen im Allgemeinen?

Ein internes Whistleblower-System gilt als Frühwarnsystem zur Identifizierung und Bekämpfung von Missständen. Es ist damit Grundlage für ein erfolgreiches Risikomanagement. Hinweisgeber wenden sich dadurch zuerst an eine interne Instanz, wodurch Meldungen seltener an externe Stellen gelangen und die daraus resultierenden Reputationsschäden vermieden werden.

Hinweise von Mitarbeitenden sind das beste Mittel, um Compliance-Verstöße aufzudecken. Erfahrungswerte zeigen, dass Firmen und Organisationen rund 7 Prozent ihres jährlichen Umsatzes durch Vermögensdelikte verlieren. Durch interne Hinweise gelingt es jedoch, einen erheblichen Anteil dieser Fälle aufzudecken und dadurch finanzielle Schäden durch Compliance-Missstände zu minimieren. Dies bestätigt auch die Studie „Whistleblowing Report 2021“, die wir gemeinsam mit der HTW Chur durchgeführt haben: Über die Hälfte der über interne Whistleblowing-Systeme eingehenden Meldungen gab Hinweise auf Compliance-relevante Missstände und Fehlverhalten.

Braucht mein Unternehmen ein Whistleblower System?

Wenn es um die Einrichtung interner Whistleblower-Systeme geht, sind die Anforderungen an Unternehmen auf der ganzen Welt in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. In den USA sind interne Meldesysteme, die vertrauliche und anonyme Meldungen zulassen, bereits für alle börsennotierten US-Aktiengesellschaften Pflicht. In Europa ist am 16. Dezember 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1937 für einen einheitlichen Hinweisgeberschutz offiziell in Kraft getreten – inklusive der Pflicht für Unternehmen in der EU, Whistleblowing-Systeme einzurichten. Bis 2021 hatten die EU-Mitgliedsstaaten Zeit, die Vorgaben der Richtlinie in eigene, nationale Gesetze zu gießen.

Im Juli 2023 ist in Deutschland das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten und verpflichtet Unternehmen ab 50 Beschäftigten zur Einrichtung eines internen Whistleblowing-Systems. Bei Nichtachtung des Gesetzes werden hohe Bußgelder fällig. Weitere unkalkulierbare Risiken sind irreparable Reputationsschäden und der Verlust der Kontrolle, denn das Gesetz erlaubt auch die Hinweisabgabe an die externe Meldestelle, die beim Bundesamt für Justiz eingerichtet ist.

Und nicht selten drohen Unternehmen hohe Geldstrafen, falls beispielsweise ein Korruptionsfall auftaucht und der Firma vorgeworfen werden kann, dass sie nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat, um die Tat zu verhindern. Auch wenn Meldesysteme noch nicht in allen Ländern verpflichtend sind, so haben sie schon jetzt Vorbildcharakter. Sie stärken das Vertrauen der Mitarbeiter und externen Anspruchsgruppen (wie zum Beispiel der Lieferanten, Kunden oder der breiten Öffentlichkeit) in das Unternehmen, tragen erheblich zum Reputationsschutz bei und reduzieren unternehmerische Risiken.

Brauche ich in meinem Unternehmen anonyme Meldekanäle, obwohl die neue EU-Whistleblowing-Richtlinie Hinweisgeber besser schützt?

Die EU-Whistleblower-Richtlinie legt zwar nicht konkret fest, wie Unternehmen mit anonymen Hinweisen umgehen sollen. Allerdings verpflichtet die Direktive Unternehmen, die Identität des Hinweisgebers vertraulich zu behandeln (und droht mit Sanktionen bei Nichteinhaltung). 

Die Empfehlung geht deshalb ganz klar zur Einrichtung anonymer Meldekanäle. Denn auch wenn die EU-Richtlinie Hinweisgeber vor Benachteiligungen, wie Entlassung oder Degradierung, schützt, gibt es immer noch die Gefahr „weicher” negativer Konsequenzen – beispielsweise die vorwurfsvollen Blicke auf dem Büroflur oder die Ausgrenzung beim Feierabendbier. Keine Richtlinie und kein Gesetz kann Hinweisgeber davor schützen – das geht nur durch die Wahrung der Anonymität. Bevor wir keinen umfassenden Kulturwandel erleben, durch den Hinweisgeber nicht mehr als Verräter, sondern als „Helden“ gesehen werden, wird Anonymität als zusätzlicher Schutz extrem wichtig bleiben.

Reicht eine telefonische Hotline?

Hotlines oder Ombudsstellen bieten keine komplette Anonymität. Da vielen Hinweisgebern der Schutz ihrer Identität aber wichtig ist, sollte man zusätzlich auch anonyme, digitale Meldekanäle anbieten. Bereits bestehende Anlaufstellen wie Hotlines oder Ombudsstellen lassen sich in professionelle, digitale Whistleblower-Systeme meist einfach integrieren. Unsere Software EQS Integrity Line, beispielsweise, bietet solch eine Funktion.

Der digitale Weg bietet eine einfache und sichere Form der anonymen Kontaktaufnahme und der Kommunikation zwischen Hinweisgeber und Firma. Eine digitale Hinweisgebersoftware ist außerdem ein ausgezeichnetes Daten- und Risikomanagement-Tool, mit welchem Statistiken zu verschiedensten Daten erstellt werden können, zum Beispiel in welchem Land am meisten Vorfälle gemeldet werden oder welche Art von Delikten am häufigsten vorkommt.

Häufig kombinieren Unternehmen in der Praxis mehrere Hinweisgeberkanäle, um allen potenziellen Hinweisgebern das Melden zu ermöglichen. Im Whistleblowing Report 2019 hat sich gezeigt, dass Unternehmen im Schnitt drei Meldekanäle zur Verfügung stellen – beispielsweise zwei allgemeinere Kommunikationswege (wie Telefon oder E-Mail) und einen spezialisierten Hinweisgeberkanal.

Ein Whistleblowing-System kostet nur und bringt doch nichts, oder?

Auswertungen in der Schweiz haben ergeben, dass eine Firma durchschnittlich rund 7 Prozent ihres Umsatzes aufgrund von Wirtschaftsdelikten wie Betrug, Unterschlagung oder Korruption verliert. Bei einem beispielhaften Umsatz von 100 Millionen Euro ergibt dies einen Verlust von 7 Millionen Euro pro Jahr.

Falls nur zehn Prozent dieser Delikte dank interner Hinweise aufgedeckt und vermieden werden, können 700.000 Euro jährlich eingespart werden. Ein internes Meldesystem kostet einen Bruchteil dieses Betrages pro Jahr. Damit zahlen sich die Einführung und der Unterhalt dieses Whistleblowing-Systems mehr als aus.

Wird mein Unternehmen mit Meldungen überflutet werden?

Keineswegs: Unsere Erfahrungswerte zeigen, dass Sie mit einem internen Meldesystem im Jahresdurchschnitt 8 Meldungen pro 1.000 Mitarbeitende erhalten. Falls Ihre Firma 5.000 Mitarbeitende beschäftigt, müssen Sie also mit rund 40 Meldungen pro Jahr rechnen, ungefähr 3 bis 4 pro Monat.

Und es ist ja auch paradox: Idealerweise erhalten Sie als Unternehmen gar keine Meldungen. Denn das würde bedeuten, dass bei Ihnen alles richtig läuft. Gleichzeitig sollten Sie als Unternehmen alles tun, damit Meldungen Sie erreichen können, indem Sie eine entsprechende Kultur schaffen, vernünftige Kanäle in allen relevanten Sprachen anbieten und die Kanäle angemessen ins Unternehmen kommunizieren. Wenn dann immer noch keine Meldungen kommen, haben Sie alles richtig gemacht.

Sollen wir anonyme Meldungen zulassen? Argumente für ein anonymes Hinweisgebersystem

Unbedingt. Der Whistleblowing Report 2019 zeigt, dass bei den Unternehmen, die anonymes Melden ermöglichen, mehr als die Hälfte der Erstmeldungen auch in anonymisierter Form eingehen. Zwar wird der gesetzliche Schutz für Hinweisgeber sukzessive verbessert, und viele Unternehmen sichern darüber hinaus zu, dass Whistleblowern keine negativen Konsequenzen drohen. Dennoch befinden sich Hinweisgeber vor ihrer ersten Meldung in einer Situation größter Unsicherheit: Was wird meine Meldung auslösen? Wer wird die Meldung lesen, wer an einer internen Ermittlung beteiligt sein? Habe ich wirklich keine negativen Konsequenzen zu fürchten? Entsprechend hoch ist die Hemmschwelle für Hinweisgeber – und umso eher schätzen sie die Möglichkeit, anonym melden zu können.

Der Nachteil bei anonymen Meldungen liegt normalerweise darin, dass keine Kommunikation zwischen dem Hinweisgeber und der Firma möglich ist. Das macht es schwierig, den Vorfall umfassend abzuklären – insbesondere, wenn wichtige Information fehlen, die nur durch eine Nachfrage bei der meldenden Person eingeholt werden können. Andererseits ist ein ausreichender Schutz in Form von Anonymität vielen Hinweisgebern besonders wichtig. Daher sollten sie auch anonyme Meldungen zulassen. Denn auch hier gibt es Lösungen, die trotz aller Anonymität einen Dialog zulassen.

Deshalb sollte bei der Wahl eines Whistleblowing-Systems darauf geachtet werden, dass die Möglichkeit einer Kommunikation zwischen Hinweisgeber und Firma auch bei anonymen Meldungen gegeben ist, um so einen besonders großen Kreis potenzieller Hinweisgeber anzusprechen.

Es ist besser für den Hinweisgeber

Der erste Schritt verlangt Mut, denn die meisten Mitarbeiter melden zum ersten Mal einen Missstand. Entsprechend groß sind die Unsicherheit und die Angst vor negativen Auswirkungen. Meldekanäle, die die Anonymität gewährleisten, senken die Hemmschwelle deutlich.

Untersuchungen zeigen, dass Hinweisgeber anonyme Meldekanäle bevorzugen: In Unternehmen, die anonymes Melden von Hinweisen erlauben, werden 58 Prozent der Erstmeldungen anonym abgegeben (siehe Whistleblowing Report 2019).

Wer seinen Mitarbeitern die Möglichkeit einräumt, anonym zu bleiben, baut Vertrauen auf. Unternehmen zeigen so, dass es ihnen wichtiger ist, von möglichen Missständen zu erfahren als die Identität des Hinweisgebers zu kennen.

Viele Hinweisgeber geben sich nachträglich zu erkennen

Laut dem Whistleblowing Report 2019 gibt von den Hinweisgebern, die ihre Beobachtungen zunächst anonym übermittelt haben, ein Drittel seine Identität im Laufe der Ermittlungen preis. Dies zeigt, dass durch anonyme Kanäle Vertrauen in den Meldeprozess aufgebaut werden kann.

Es ist besser für das Unternehmen

Hinweisgeber, die Vergeltungsmaßnahmen und Sanktionen fürchten, sind verständlicherweise nur selten bereit, Missstände zu melden. Unternehmen, die kein sicheres Umfeld für Hinweisgeber schaffen, riskieren deshalb, dass ihnen wichtige Informationen entgehen und dadurch große Schäden entstehen. Anonyme Meldekanäle senken die Hemmschwelle und ermutigen, Missstände zu kommunizieren. Die Verantwortlichen erhalten dadurch wichtige Informationen und können frühzeitig auf Risiken reagieren.

Die Angst vor missbräuchlichen Meldungen ist unbegründet

Ein Vorbehalt gegenüber anonymen Hinweisgebersystem ist die Angst vor einem Missbrauch. Beispielsweise durch falsche oder verleumderische Hinweise, die darauf abzielen, einzelnen Mitarbeitern oder dem ganzen Unternehmen zu schaden. Die Ergebnisse des Whistleblowing Reports 2019 zeigen jedoch, dass die Möglichkeit des anonymen Übermittels von Hinweisen keinen großen Einfluss auf den Anteil missbräuchlicher Meldungen hat.

Es gibt Systeme, die die Anonymität des Hinweisgebers schützen und dennoch eine 2-Wege-Kommunikation zulassen

Bei der Entscheidung für ein Hinweisgebersystem haben Unternehmen die Wahl zwischen unterschiedlichen Kanälen. Ein Briefkasten, ein E-Mail-Postfach oder eine Telefonhotline können schnell und preiswert eingerichtet werden, die Anonymität des Hinweisgebers garantieren sie jedoch nicht. So müssen Hinweisgeber zum Beispiel bei der Nutzung des Briefkastens ganz genau überlegen, wann sie ihren Hinweis einwerfen, um ungesehen zu bleiben. E-Mails hingegen können getrackt und die Stimme am Telefon erkannt werden.

Digitale Hinweisgebersysteme können die Identität des Hinweisgebers schützen und trotzdem eine 2-Wege-Kommunikation ermöglichen. Über diese Systeme können Hinweisgeber bei Bedarf noch weiteres Beweismaterial übermitteln und die Fragen des Fallbearbeiters beantworten.

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Moritz Homann
Managing Director Corporate Compliance | EQS Group
Moritz Homann verantwortet beim Münchner Technologieanbieter EQS Group den Produktbereich Corporate Compliance. In dieser Funktion betreut er die strategische Entwicklung digitaler Workflow-​Lösungen, die auf die Bedürfnisse von Compliance-​Beauftragten auf der ganzen Welt zugeschnitten sind.
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