Ellsberg gilt als einer der ersten Whistleblower, und sein Fall war so spektakulär wie seine Enthüllungen schockierend waren. Er wurde wegen Spionage angeklagt, ihm drohten bis zu 115 Jahre Haft. 1973 wurde er freigesprochen.
Whistleblower werden mit negativen Etiketten belegt
Ähnlich wie Ellsberg sollten Jahrzehnte später auch die amerikanischen Whistleblower Edward Snowden und Chelsea Manning mit ihren Enthüllungen den Zorn der US-Regierung auf sich ziehen und öffentliche Meinung in Amerika spalten: Manche sehen in ihnen Verräter, andere schätzen ihre Enthüllungen als Dienst für die Gesellschaft.
Immer wieder werden Hinweisgeber mit einem negativen Image belegt. Als im Dezember 2022 Informationen aus einer Betriebsversammlung des baden-württembergischen Unternehmens Kern-Liebers an die Presse drangen, reagierte ausgerechnet der Betriebsrat erbost: Informationen an die Presse zu geben sei rufschädigend und gefährde die Zukunft des Unternehmens, beklagte ein Betriebsratsmitglied.
In Deutschland werden Whistleblower mitunter mit ahistorischen Vergleichen belegt und in die Nähe von Denunzianten oder Spitzeln gerückt. CDU-Politiker Volker Kauder sprach bei einer Bundestagsdebatte über Whistleblower 2011 sogar von „Blockwart-Mentalität“.
Hinweisgeber haben ein starkes moralisches Gerüst
Tatsächlich schlagen Whistleblower aus ihrer Tätigkeit keinen Profit, sondern setzen sich im Gegenteil Risiken aus: Nicht ernst genommen zu werden, abgewiesen oder sogar benachteiligt und bestraft zu werden.
Mitarbeitende, die fehlerhaftes oder strafrechtlich wirksames Verhalten innerhalb eines Unternehmens beobachten, wenden sich in den meisten Fällen zuerst an ihre direkten Vorgesetzten und versuchen, in ihrem Umfeld Gehör zu finden, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Erst wenn die eigenen Unternehmen oder Organisationen ihnen keinen Glauben schenken oder sie sogar unter Druck setzen, wenden sie sich an die breite Öffentlichkeit oder an die Medien – weil ihr moralischer Kompass so stark ist, dass sie die Augen nicht vor Unrecht verschließen können oder wollen.
Dafür setzen sie Arbeitsbeziehungen und unter Umständen sogar ihren Job aufs Spiel, sprich: sie sind im Zweifel bereit, Nachteile für sich selbst in Kauf zu nehmen, um sich gegen Fehlverhalten, unlauteres Geschäftsgebaren, Korruption oder anderes Unrecht zu stellen.
Dass diese Form von Engagement nicht nur Respekt verdient, sondern auch schützenswert ist, hat auch die Politik mittlerweile verstanden: Im Mai 2023 hat die Bundesregierung mit einjähriger Verzögerung die EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern umgesetzt und das Hinweisgeberschutzgesetz erlassen, welches Schutzregelungen für Hinweisgeber in Unternehmen und Behörden aufstellt.
Machtmissbrauch durch Whistleblower ist unwahrscheinlich
Auch wenn Unternehmen mittlerweile gesetzlich zur Einführung von Meldesystemen verpflichtet sind, fürchten viele Organisationen den Missbrauch dieser Systeme: Hartnäckig hält sich der Mythos, Arbeitnehmer würden – insbesondere anonyme Meldungen – für Falschmeldungen missbrauchen, um sich am Arbeitgeber zu rächen oder ihn in ein schlechtes Licht zu rücken. Doch das Hinweisgeberschutzgesetz regelt, dass Whistleblower bei vorsätzlich falschen oder grob fahrlässigen Meldungen für Schadenersatz haftbar sind.
Tatsächlich zeigt sich auch in der Praxis, dass die Angst vor absichtlichen Falschmeldungen weitgehend unbegründet ist. Wirksame interne Whistleblowing-System stellen sicher, dass Hinweisgeber ihre Bedenken zunächst intern äußern und Unternehmen darauf reagieren können. Vernachlässigt eine Organisation die Untersuchung solcher Meldungen oder gibt Mitarbeitenden das Gefühl, sie müssen wegen eines Hinweises Nachteile fürchten, steigt hingegen die Gefahr, dass Whistleblower sich an externe Meldestellen oder Medien wenden.
Die Statistik zeigt: Die Mehrzahl der Hinweisgeber wollen ihrem Unternehmen nicht schaden
Laut aktuellen Erhebungen liegt die Zahl der Fälle, in denen Whistleblower tatsächlich absichtlich Meldungen abgeben, um dem Unternehmen zu schaden, im einstelligen Bereich.
Der BKMS® Benchmarking Report 2021 ergab beispielsweise, dass 78% der Befragten angeben, dass der Anteil missbräuchlicher Meldungen bei unter 2% liegt, 43% geben hier sogar einen Wert unter 1% an. Hinweisgeber bringen ihre Unternehmen langfristig sogar voran: Indem sie Missstände frühzeitig intern aufzeigen und Organisationen die Möglichkeit geben, umgehend zu reagieren, können sie Unternehmen vor größeren Schäden, möglicher Strafverfolgung und empfindlicher Strafzahlungen bewahren. So hatte der Whistleblowing Report 2021 zum Ergebnis, dass in 2023 rund ein Drittel der untersuchten Unternehmen über 80 Prozent des finanziellen Gesamtschadens, der durch Missstände entstanden ist, dank eines intern eingerichteten Hinweisgebersystems aufdecken konnten.
Checkliste zum HinSchG
Die wichtigsten Schritte zur Erfüllung des neuen Gesetzes.